71 Kilometer an zwei Tagen sind mit dem Auto nicht viel und auch mit dem Rad recht gemütlich. Mit dem Kajak aber ist das eher etwas für drei Tage und kaum eine erholsame Wochenendtour. Es geht Stefan und mir, den beiden verrückten Paddlern dieser Geschichte, nicht um Rekorde, aber wenn man nach der Tour realisiert, was man geschafft hat, ist man doch stolz und bereit, davon zu berichten.
Das letzte Wochenende im September 2024 hatte schon regnerisch und grau begonnen. Warum sollte man da Lust aufs Paddeln haben? Hatten wir auch nicht, sondern nur Lust auf die Perspektive, das erste Mal im Leben auf der Elbe paddeln zu können. Die Elbe ist anders als unser Heimatrevier „Alster“, nämlich tidenhub-abhängig. Man kann nicht fahren, wie man will, sonst gerät man ungeplant in eine Gegenströmung und kommt nicht vorwärts. Man muss also Ebbe und Flut vom Zeitpunkt her mit einplanen und mit der Gezeitenströmung paddeln. Außerdem sind die Wellen unter Umständen hoch und die Berufsschifffahrt nimmt keine Rücksicht auf Kajaks. Immer wieder kommen Kajakfahrer:innen auf der Elbe ums Leben, die nicht richtig ausgerüstet sind. Trockenanzug oder Neopren sowie Schwimmweste und Spritzdecke sind also Pflicht!
Unbekümmertheit vor dem großen Regen
Wenn wir normalerweise zu Mehrtagesfahrten aufbrechen, holen wir die Kajaks am Vorabend am Bootshaus Alstereck ab. Dann müssen wir eine längere Autofahrt zur Einsatzstelle absolvieren und Autos zwischen Start und Ziel umsetzen. Anders bei dieser Tour: Start und Ziel liegen praktischerweise am Alstereck, und wir können zu an Wochenenden üblichen Zeiten gemütlich starten. Allerdings wird das Beladen der Boote mit Übernachtungsgepäck, Kochgeschirr, Essen und Wechselklamotten bei TROCKENHEIT völlig überbewertet. Noch denken wir uns nichts bei diesem ersten Regenschauer. Doch schon nach wenigen Kilometern auf der Alster suchen wir unter einer Brücke Schutz vor dem Regen und dem durch die heftigen Schauer tosenden Wasser! Vor unseren Augen bricht ein Ruderachter sein Training ab. Erste Zweifel regen sich.
Auf der Außenalster zeigt sich Hamburg versöhnlich und von seiner schönsten Seite. Unbekümmert genießen wir die Fahrt. Noch. Zwischen uns und der Elbe liegen zwei Schleusen, die für den Hochwasserschutz die tidenhubunabhängige Alster vom Tidengewässer Unterelbe trennen: Rathaus- und Schaartorschleuse. Zunächst verwehrt uns ein Schleusenwärter die Schleusung. Mal sind wir zu dicht an den Schleusentoren, mal haben wir nicht richtig am Klingelseil unser im Amtsdeutsch „Schleusenbegehren“ angekündigt und mal halten wir uns nicht brav an den Wartebohlen fest. Die sind im Übrigen über und über mit Vogelk… überzogen. Von all dem steht nirgendwo etwas geschrieben und wir sind also nicht richtig vorbereitet. Aber geschleust wird schließlich doch und wir hören uns in der Schleuse – wir kommen ja jetzt nicht mehr weg – eine Standpauke des „Schleusenfürsten“ an. Augen zu und durch.
Hinter der Schleuse öffnet sich das Paradies für uns. Hier waren wir vorher noch nie mit dem Boot. Allerdings öffnen sich auch die Himmelsschleusen und wir werden Zeugen der typisch hohen Luftfeuchtigkeit in Hamburg. Kennen wir schon, aber jetzt wird es langsam auch kalt und ungemütlich. Um die Stimmung aufzuhellen, wärmen wir uns in einem (Eis!)-Café auf und trinken einen Cappuccino. Wir waren zu schnell und müssen noch zwei Stunden bis Hochwasser rumkriegen. Also paddeln wir durch die Speicherstadt und machen Fotos bei Sonnenschein.
Begegnung mit Containerschiffen
Pünktlich zum die Elbe ablaufenden Hochwasser starten wir auf die Unterelbe. Ehrlich gesagt spüren wir nicht viel vom Tidenstrom. Wir hatten bis zu 4 km/h erwartet, aber der heftige Gegenwind bremst uns enorm. Wir werden daher sicherlich nicht so weit kommen, wie wir ursprünglich geplant hatten. Aber wir haben alternative Übernachtungsmöglichkeiten vor unserem Ziel im Visier. Wir paddeln also durch den Sportboothafen, drücken uns hinter den Landungsbrücken zwischen Ausflugsdampfern und Kaimauer vorbei in den der Containerschifffahrt beherrschten Teil des Hamburger Hafens. Hier wird das Wasser rauer und die meterhohen Wellen verlangen volle Konzentration. Keiner will hier falsch von einer Welle erwischt werden und kentern, denn vor uns wird ein riesiger COSCO-Frachter gedreht. Er nimmt fast die gesamte Breite der Wasserstraße ein. Die Hafenaufsicht ist mit ihrem Boot auch da und beaufsichtigt die Arbeit der Bugsierer. Von uns kleinen Kajaks scheint hier tatsächlich keiner Notiz zu nehmen.
Im Museumshafen Oevelgönne stehen die wassernahen Parkplätze unter Wasser. Das ablaufende Hochwasser scheint höher als normal zu sein. Von der Elbe aber sieht alles ganz normal aus. Und es regnet wieder – auch normal. Heute lässt sich das Café „Strandperle“ am Hamburger Elbstrand mit dem Kajak gut erreichen. Wir fahren mit den Booten mit etwas Schwung direkt auf den Strand bis fast in den Gastraum – so hoch steht das Wasser. Damit hatten wir nicht gerechnet. Speis und Trank und nette Unterhaltung lassen die Stimmung steigen. Wir lassen uns für die geschaffte Strecke feiern und für das, was noch kommt, bewundern und Mut zusprechen. Als der Weltuntergangsregenguss vorbei ist, brechen wir wieder auf. Wir entleeren die vom Regen vollgelaufenen Boote und gleiten gekonnt und elegant vom Strand in die Elbe. Da es wieder angefangen hat zu regnen, haben wir jedoch kein Publikum. Schade.
Zelten auf der Insel Hanskalbsand
Nach einem „Pit-stop powered by Blankeneser Segel-Club“ erreichen wir gegen 17 Uhr Wedel. Wir kreuzen vorschriftsgemäß senkrecht die Elbe und haben uns anscheinend den ungünstigsten Zeitpunkt ausgesucht: Die meterhohen Wellen flauen erst ab, als wir auf der anderen Seite ankommen. Aber wir haben uns durchgekämpft, da wir den ausgewiesenen Wasserwanderrastplatz auf der Insel Hanskalbsand gegenüber von Wedel erreichen wollen. Noch weiter bis Lühesand (10 km) oder bis Pagensand (weitere 20 km) muss bei Gegenwind nicht sein. Als wir die Zelte aufbauen, haben wir 37,38 km auf der Uhr. Wir kochen schnell Nudeln und verschwinden bereits um 20:30 Uhr todmüde in unseren Schlafsäcken. In der Nacht werden wir begleitet vom Plätschern der Gezeiten und Brummen der Frachter.
Am nächsten Morgen ist die Welt wieder in Ordnung: Hamburg im Sonnenschein. Pünktlich zum Niedrigwasser und Start des auflaufenden Wassers haben wir unsere Zelte abgebaut und die Boote beladen. Ohne Wind und mit strahlender Sonne geht es zurück. Wir genießen das Dahingleiten auf glatter Wasseroberfläche. Die zunehmende Strömung und unsere über Nacht regenerierten Kräfte lassen uns am Schulauer Fährhaus, am Falkensteiner Ufer und an Airbus vorbei nach Hamburg regelrecht fliegen.
Zwei kleine Kaffeepausen und die Segelregatten auf der Außenalster sorgen für Ablenkung. Als wir am frühen Nachmittag in der Nähe des Winterhuder Fährhauses angesprochen werden, wo wir hinwollten und wann wir losgefahren seien – Alstereck, gestern um 9 Uhr – und der Typ fast von der Kaimauer fällt, dämmert es uns: Wir haben eine irre Tour hinter uns. Ganz locker und entspannt nach 33,71 km am heutigen Tag und 71 km in 32 Stunden trudeln wir wieder am Bootshaus Alstereck ein. Geschafft – und wir sind glücklich!
Keine Sorge, normalerweise fahren wir in der Kanusparte auf Touren nur 20-25 km am Tag mit viel Pausen und viel Spaß. Auch für 2025 planen wir wieder entspannte Touren z.B. an die Schwentine und an den Plöner See oder an die Schlei oder weitere Ziele in Norddeutschland. Wenn ihr Lust habt, das mal selbst auszuprobieren, schaut bei uns am Alstereck, Brombeerweg 74, vorbei. Kontaktiert vorher die Spatenleitung unter kanu@lsvham.de Es müssen ja nicht gleich 71 Kilometer in 32 Stunden sein!
Text und Bilder Oliver Reichel-Busch